Klettern in Frankreich oder „das Leben von Riley“ – Teil 1

11. August 2021/ Gepostet von Marmot Mountain Europe GmbH


Dauphiné, Col du Lautaret, Briançon – zugegebenermaßen würden dir diese Schlagwörter eher in Bezug auf Skifahren, die Tour de France oder den großen Alpinismus in den Sinn kommen. Kaum jemand, der noch nicht hier war, würde die Haut Val Durance mit tollem Sportklettern verbinden, was für uns Deutsche eher im Süden Frankreichs zu Hause ist. Die Gegend ist kein brandneuer, gleichwohl ein unbekannter Ort, der kurz vor dem Hype steht. Das Klettern im Durancetal reicht so weit zurück, dass die Gegend bereits vergessen wurde. In Europa gibt es jedoch kaum andere Bereiche, die in einem so kleinen Bereich so viel vertikale Vielfalt zu bieten haben. Das Repertoire reicht von Granit über Quarzit und Konglomerat bis hin zu Kalk, von Bouldern und Baseclimbs bis hin zu ganztägigen Mehrseillängen-Touren. Und es gibt wirklich viel davon, hervorragend eingerichtet, in einer Qualität und in einer Atmosphäre, die jedem Geschmack gerecht wird. Keine Frage: die Region um Briançon ist ein wahres Kletterparadies!

Abenteuer ins Unbekannte

Auch wir, meine Frau Alix und ich, wussten nicht genau, worauf wir uns einließen, als uns eine Wetterlage vor einigen Jahren weit in den Südwesten der Alpen führte. Es versprach uns dort zwei Wochen lang trockenes, warmes Herbstwetter, während im Norden ein Niederdruckgebiet nach dem anderen wütete. Vom Genfer See aus folgten wir der A 43 in die Maurienne und bogen nach Süden ab, über die vielen engen Serpentinen des Col du Galibier (2.674 m) und des Col du Lautaret (2.078 m). Wir haben uns bewusst für diese Route entschieden, um bei der Fahrt etwas von den Bergen des Ecrins-Nationalparks zu sehen, und wir wurden nicht enttäuscht. Von den hohen Pässen aus präsentiert sich die Krone des Gebirgszuges, dem das Dauphiné seinen Ruf verdankt: der Meije (3.982 m), auf der gegenüberliegenden Seite, rau und mit weißem Schnee bedeckt. Etwas weiter entfernt liegt der Barre des Ecrins (4.102 m), der südlichste viertausend Meter hohe Gipfel der Alpen mit seinen mächtigen Gletschern. Dazwischen und um sie herum gibt es viele andere wilde, zerklüftete Felsgipfel. Aber auch hübsche alpine Wiesen, weite Höhlen, sanft abgerundete Kämme und tiefe, grüne Täler. Ein Kontrast, der uns in den nächsten zwei Wochen begleiten und faszinieren wird.

Die Geschichte und das Erbe der Dauphiné

Aber die Dauphiné ist mehr als nur eine der spektakulärsten Hochgebirgsregionen der Westalpen. Sie ist ein historischer Teil des Landes im Südosten Frankreichs, der erst während der Französischen Revolution in die aktuellen Départements Isère, Drôme und Hautes-Alpes unterteilt wurde. Ursprünglich geht der Begriff auf die Dauphiné de Viennois zurück, einen unabhängigen Feudalstaat, der zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert zum Königreich Burgund gehörte. Ab dem 12. Jahrhundert gaben sich die Herrscher den Titel Delfinus („Delphin“), was ins Französische übersetzt „Dauphin“ heißt. Nachdem alle Ländereien im 14. Jahrhundert an den französischen Erben und die Krone übertragen wurden, wurde die Dauphiné tatsächlich Teil des Königreichs Frankreich. Seitdem war es auch der Brauch, dass der jeweilige französische Kronprinz bei seiner Geburt das Paragium über die Region und den Titel „Dauphin“ erhielt. Der Delfin ist immer noch das heraldische Tier der drei oben genannten Departements. Die größten Städte der Region sind Grenoble (über 500.000 Einwohner), Valence westlich des Vercors (60.000 Einwohner), Gap (40.000 Einwohner), das an die Provence grenzt, und Briançon (12.000 Einwohner) im Osten, nahe der italienischen Grenze.

Briançon – der Kletter-Hotspot der Gegend

Letzterer liegt auf einer Höhe von etwa 1.200 Metern über dem Meeresspiegel und bildet in gewisser Weise das Epizentrum des Kletterns in der Region. Sein Tätigkeitsfeld erstreckt sich bis weit ins Durancetal, bis auf eine Höhe von 800 Metern. Gleichzeitig reicht es hoch bis zu den Pässen und einer Höhe von über 2.500 Metern. Genauso vielseitig sind die Möglichkeiten, übermäßiger Hitze zu entkommen, indem man die richtige Gegend auswählt. Das Durance-Tal ist daher eine Empfehlung, besonders in den heißen Sommermonaten. Es ist sowohl für den Herbst als auch für den Frühling geeignet. Lass dich nicht von der Höhe täuschen – Briançon ist südlicher als Venedig oder Rijeka. Deshalb kann die Sonne auch in der Übergangszeit kräftig in die nach Süden ausgerichteten Wände knallen und einem den Schweiß auf die Stirn treiben.

Camping unter den Sternen am Fuße des Mont Pelvoux

Es gibt keinen Mangel an Unterkünften im Durance-Tal, das für den Tourismus gut entwickelt ist und seinen guten Ruf vor allem der großen Auswahl an Wintersport- und Bergwandermöglichkeiten verdankt. In den weit verstreuten Ortschaften gibt es eine große Anzahl von Ferienwohnungen, Pensionen und Hotels, die in der Hauptsaison gut gebucht sind, in den übrigen Zeiten aber fast im Überfluss vorhanden sind. Aber eigentlich solltest du dir nicht entgehen lassen, unter freiem Himmel in der weiten Natur des Tals zu schlafen. In dieser Hinsicht verdient ein Campingplatz besondere Erwähnung, den Einheimische gerne mit dem kalifornischen Yosemite Valley in Bezug auf das Ambiente vergleichen: Ailefroide am Fuße des Mont Pelvoux, einer der ältesten und größten Klettergebiete der Region.

Grüne, geräumige Wiesen, umgeben von steil hoch aufragenden, zerklüfteten Granitwänden vermitteln etwas von diesem Flair im abgelegenen Hochtal. Wir haben fast das Gefühl, dass wir unser Zelt auf El Cap Meadows aufstellen. Hier ist dies aber rechtlich möglich, sofern du am Eingang des riesigen Campingplatzes eine kleine Tagesgebühr zahlst. Im Gegenzug erhältst du eine freie Auswahl an Stellplätzen, gepflegten Sanitärgebäuden, Duschen mit heißem Wasser und die Gesellschaft einer internationalen Klettergemeinschaft. Briten, Tschechen, Niederländer, Franzosen – sie sind alle hier.

Als Familie oder Kletterer findet man für jeden etwas

Ailefroid ist besonders im Hochsommer beliebt. Kein Wunder bei dieser großartigen Landschaft. Viele der Routen sind zu Fuß erreichbar. Bäche laden zum Schwimmen ein, Wiesen zum Ausruhen und Wälder zum Wandern. Der Ort ist auch ein kleines Paradies für Familien mit Kindern. Beim Klettern kommen vor allem drei Gruppen auf ihre Kosten: Boulderer, Hardmover in den höchsten Schwierigkeitsgraden und Liebhaber von flachen Mehrseillängen-Touren. Da wir definitiv nicht zu den ersten beiden gehören, bevorzugen wir es, uns mit der dritten Kategorie zufrieden zu geben: „Cascades Blues“ (6a, 8 SL) – benannt nach einer unkonventionellen Wasserfallüberquerung mitten auf der Strecke – „Riviere Kwai“ (5c +, 14 SL) oder „Snoopy directe“ (8 SL, 6b) sind hier lohnenswerte Kandidaten mit recht schönem Fels und einem unverwechselbaren Landschaftserlebnis.

Pizza am Ende der Welt genießen

Nach getaner Arbeit sitzen wir beide in Ailefroide ausgehungert vor „Flo's Pizzeria“, einem mit Flower-Power-Farben gestrichenen Wohnmobil älteren Typs. Vor ihm befinden sich graue Kunststoffstühle und Tische mitten auf der Liegewiese. Im Fahrzeug heizt derzeit ein XXL-Backofen unsere frisch zubereitete Pizza. Eine „Meije“ mit provenzalischen Kräutern (frisch, nicht getrocknet) und eine „Pelvoux“ mit Ziegenkäse (auch frisch). Allein der Geruch des Ofens ließ uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Ganze mit Blick auf den echten Mont Pelvoux und begleitet von einem üppigen französischen Landwein, serviert uns Flo mit einem herzlichen „bon appétit“ mitten auf der Blumenwiese, vor der Pizzeria am Ende der Welt. Wenn es nicht Realität wäre, könnte es auch eine Szene aus einem französischen Kunstfilm sein.

Im zweiten Teil nehmen wir dich weiterhin mit auf unsere Reise zu abwechslungsreichen Klettergebieten mit wunderschönen Touren und idyllischen Plätzen durch den Südosten Frankreichs.

Text und Fotos:
Luis Stitzinger & Alix von Melle

Luis Stitzinger & Alix von Melle
Frankreich
August, 2021
The Send