Ist Schnee gleich Schnee?

15. Februar 2022 / Gepostet von Marmot Mountain Europe GmbH


Fallen im Herbst in den Hochgebirgsregionen die ersten Schneeflocken, beginnt sich der Boden in eine Glitzerwelt zu verwandeln und die Landschaft bereitet sich langsam auf den bevorstehenden Winter vor. Allerdings bringt die weiße Pracht nicht nur einen neuen Akzent im Farbspektrum der Bergwelt mit sich, unter der weißen Oberfläche verbirgt sich ein sich ständig wandelndes Gefüge aus Eis, Wasser, Luft und Wasserdampf. Die Schneedecke ist in ständiger Umwandlung und dies ist auch der Hauptgrund, warum das Studium der Schneedecke so vielfältig und herausfordernd ist, vor allem wenn es um die Beurteilung der daraus abzuleitenden Lawinengefahr geht.

Die Gefahr lauert zwischen den Schneeschichten

Die Einflüsse auf die Schneedecke auf Grund von sich ständig ändernden Witterungsbedingungen wie Wind, Temperatur, Feuchtigkeit, Strahlung, etc. bestimmen die Umwandlungsprozesse des Schnees. Fällt Neuschnee, bildet sich eine neue Schicht über der Altschneedecke und so entstehen im Laufe des Winters die verschiedenartigen Schneeschichten, so ähnlich wie die Jahresringe eines Baumes. Interessant für den Wintersportler ist die Bindung zwischen diesen Schneeschichten. Diese wird wiederum durch die Kristallbeschaffenheiten zum Zeitpunkt der Bindung bzw. auch oft lange Zeit später bestimmt. Kritisch für die Lawinensituation sind Schichten mit schlechter Bindung zueinander. Oft sind es flächige, härtere Schichten, welche schwache Bindung zu den darüber gelagerten Schichten aufweisen. Diese Schichten können sich z. B. durch markante Wärmeperioden bilden, in dem der Schnee an der Oberfläche schmilzt und später als Eis oder harte Harschschicht in der Schneedecke bleibt. In längeren Kälteperioden wiederum kann sich an der Schneeoberfläche Reif bilden, welcher beim Einschneien als Minieisschicht verborgen bleibt. Eingeschneiter Oberflächenreif ist immer wieder die versteckte Ursache von Lawinen.

Aber auch die isolierende Eigenschaft des Schnees sorgt für eine bestimmte Form der Umwandlung. Durch den konstanten Erdwärmestrom vom Boden und dem Schnee als Isolator gibt es im Winter extreme Temperaturunterschiede zwischen dem Boden (meist um 0°C) und der Schneeoberfläche. Der Boden wirkt wie eine Herdplatte und verdampft die unterste Schneeschicht. Der Dampf steigt nach oben und friert bei höheren, kälteren Kristallen ein. Becherkristalle entstehen und bringen eine versteckte Gefahr für die Lawinenauslösung mit sich, denn dieser sogenannte Schwimmschnee hat keine Bindung mehr zu anderen Schneeschichten – er sieht aus wie großer Kristallzucker.

Bestimme das Schneeprofil

Wie findet man nun solche Schwachschichten im Gelände? Dazu braucht es eine Schaufel und den passenden Ort für ein Schneeprofil. Man gräbt ein Profil durch die Schneeschichten und kann somit einen Überblick über die Schichtung, die Schneehärten und Kornformen machen. In einem groben Überblick unterscheidet man zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Farbtönen der Schneekristalle. Sind die Schneekristalle klar weiß, handelt es sich um Neuschnee (weich, große Kristalle), körnigen Altschnee (mittlere Härte, kleine Kristalle) oder Windharsch (hart, kleine Kristalle). Findet man Graustufen als Farbe der Kristalle, dann handelt es sich um Schmelzharsch (hart, große Kristalle), Eis (hart, kleine Kristalle) oder Schwimmschnee (weich, große Kristalle ohne Bindung). Auch Oberflächenreif lässt sich in einem schwachen Grauschimmer erkennen.

Wie man eine Lawine simuliert

Lawinen entstehen vor allem durch drei Faktoren: ausreichende Steilheit des Hanges (über 30 Grad), gebundener Schnee (durch Wind umgewandelte Kristalle) und einer Schwachschicht (Oberflächenreif, Eis, Harsch oder Schwimmschnee, etc.). In einem Schneeprofil kannst du eine kleine Lawinensimulation durchführen. Dazu legt man einen Block mit 30 mal 90 cm frei (auch hinten abschneiden), legt die Schaufel auf eine Seite des Blockes und belastet den Block mit Schlägen aus dem Handgelenk (leichter Schlag), Ellbogen (mittlerer Schlag) oder Schulter (harter Schlag) - jeweils 10 Mal - und versucht somit eine Lawinenauslösung zu simulieren. Man nennt diesen Test ECT (extended column test). Bricht der Block auf einer flächigen Schicht durchgehend über den ganzen Block bei einer niedrigen Anzahl an Schlägen, so ist die Schneedecke an dieser Stelle instabil und eine Lawinenauslösung bei geringer Zusatzbelastung möglich.

Das Gesamtbild ist entscheidend

Wichtig beim Betrachten von Schneeprofilen und der damit verbundenen Einschätzung der Lawinengefahr ist das Verständnis, dass ein Schneeprofil stets eine Punktbetrachtung ist und niemals auf andere Stellen 1:1 übertragen werden kann, da die Schneedecke örtlich recht inhomogen aufgebaut ist. Jede Änderung der Exposition, Seehöhe oder des Untergrundes bringt eine andere Art des Schneedeckenaufbaus mit sich. Daher kann das Schneeprofil nicht für die Einzelhangbeurteilung dienen, liefert jedoch auf jeden Fall ein Mosaiksteinchen für die Entstehung eines Gesamtbildes.

Text und Fotos:
Mag. Albert Leichtfried

Albert Leichtfried
Österreich
Februar, 2022
The Beta